Kapitel 7 - Finsternis

Mit jeder Liebe, welche irgendwann einmal in ihr Leben getreten war, war sie einsamer geworden. Dieses Gefühl …, dieser Gedanke …, das es ihre Bestimmung sei, hatte sich mit den Jahren in ihrem Kopf festgesetzt.

 

„Es ist meine Bestimmung...“, seufzte sie.

 

Ein letzter Umzug. Viele Jahre hatte sie davon geträumt, viele Jahre hatte sie es sich gewünscht.

 

„Irgendwann …, eines Tages …, werde ich dort sein, wo ich wirklich zu Hause bin. Frei von allen Zwängen. Frei und allein ...“, ihr Blick fiel bei diesem Gedanken zu Boden.

 

„Was hat meine wunderschöne alte Seele nur getan? Was habe ich getan, dass ich mir ein solches Dasein zugeschrieben habe?“, versank Xeria für einen Moment in den Gedanken. 

 

Noch immer im Gedanken versunken, packte sie die restlichen Kartons zusammen.

 

„Fertig. Was sich so alles ansammelt mit den Jahren.“, stellte sie erstaunt fest und ließ ihren Blick über ihre Umzugskartons schweifen.

 

„Vielleicht wird es ja endlich einmal ruhiger. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.“, ging es ihr durch den Kopf. 

 

„Aber bei meinem Glück ...“, dachte sie weiter und unterbrach den Gedanken für einen kurzen Moment. 

 

„Bei meinem Glück und meiner Bestimmung … meinem Wissen ...“, führte sie den Gedanken fort und schüttelte den Kopf.

 

„Wenigstens etwas Ruhe. Ein klein wenig.“, sprach sie im Gedanken zu sich selbst.

 

Noch einmal schaute sie über all ihre Umzugskartons. Dann löschte sie das Licht und zog die Tür hinter sich ins Schloss. 

 

Morgen würde man die Kartons abholen um sie zu ihrem neuen zu Hause zu bringen.

 

„Dreh dich nicht um. Dieser Ort ist nun Vergangenheit. Ein für alle Mal Vergangenheit.“, mahnte ihr Kopf.

 

Der Ort, der zu ihrer Wahlheimat geworden war. Der Ort an dem sie sich eine Zeitlang tatsächlich zu Hause gefühlt hatte. Der Ort, der alles veränderte, als sich die Ereignisse begannen zu überschlagen und es immer gefährlicher wurde. 

 

Es war Zeit für einen Neuanfang. Zeit, sich auf ihre Bestimmung und den Grund ihres irdischen Daseins zu besinnen. Es war Zeit, sich an einen Ort der Stille zurückzuziehen.

 

 

 

 

Ihr neues zu Hause lag abgelegen. Ein kleines Häuschen umgeben von Wiesen und Feldern. Und unweit dessen waren Wälder und  Berge. 

Xeria genoss die Stille, die sie umgab. Das war es, was sie sich vorgestellt hatte. Das war, was sie sich wünschte. Doch einen Haken hatte dieser Ort dennoch. Wenn ihr etwas zustossen würde, würde man sie so schnell nicht finden. Das Leben hatte sie zur Einsiedlerin gemacht. 

 

„Aber wer soll mich schon vermissen?“, fragte sie sich. 

 

„Wenn dich alles verlassen hast, kommt das Alleinsein. Wenn du alles verlassen hast, kommt die Einsamkeit.“, fiel ihr ein altes Zitat von Friedrich Schiller ein. 

 

Alle Verbündeten hatte sie mit der Zeit verloren. Manche starben, andere verschwanden spurlos. Doch die Erinnerungen blieben. Jeder Tag hatte die Macht eine Erinnerung zu sein. Gute wie Böse. 

 

Die Anderen. Die Anderen und das Licht. Sie hatte das Licht nur noch selten kontaktiert und nachdem Umzug … Sie versuchte loszulassen. All die Dinge loszulassen, die sie in den letzten Jahren so sehr eingenommen hatten. Doch es gelang ihr nicht. Niemals, würde sie etwas vergessen. Selbst, wenn sie es wollte. Sie kann es nicht. Alle Erinnerungen kehren immer wieder und wieder. Urplötzlich aus dem Nichts heraus. Ein ewiger Kreislauf. 

 

„Alles waren nur Lügen“, schimpfte sie wütend, bei dem Gedanken. 

„Ihr habt mich alle zurückgelassen. Einfach aufgegeben. Als wäre ich niemals dagewesen. Niemand war mehr da, mit dem ich reden konnte. Ihr habt mich einfach meinem Schicksal überlassen.“, es machte sie wütend. Immer und immer wieder, wenn sie daran dachte oder wenn eine Erinnerung kam, wurde sie wütend. 

„Ihr habt mich belogen. Ihr habt mich verraten. Ihr habt mich im Stich gelassen. Niemand von euch war in der Lage mich zu retten als ich angegriffen wurde. Nun, ich bin ja nicht mehr euer „Problem“. Ich habe euch vertraut, ich wollte nur zu euch gehören und ich glaubte ich sei eine von euch. Was für ein naiver Fehler.“ 

 

Wie oft hatte sie diese Gedanken schon gedacht? Wie oft hatte sie diese Gedanken schon laut ausgesprochen? 

 

Die Wut hatte sie im Griff und Xeria beschloss an die frische Luft zu gehen um einen kurzen Spaziergang zu machen. Es war Ende Oktober. Der Himmel war grau und wolkenverhangen. Die Ernte war längst eingefahren und die Felder und Wiesen lagen brach. Das Laub der Bäume ließ sich sanft zu Boden fallen. Der erste Frost hatte sich bereits bemerkbar gemacht. Nebel zog auf. Und das Tageslicht wurde langsam von der Dämmerung abgelöst. 

 

Xeria hatte sich ein wenig beruhigt und kehrte zurück zu ihrer Hütte. Dort angekommen, packte sie noch ein wenig Feuerholz auf ihren Arm und betrat sie. Das entfachte Feuer im Ofen begann zu knistern und machte die Küche schon bald etwas wärmer. Aufgewärmt und zufrieden, begann sie ihr Abendessen zuzubereiten. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden als sie mit allen Arbeiten fertig war. Sie saß noch einige Zeit am Küchentisch und blickte nach draußen in die Dunkelheit.

 

Sie überkam ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl dass sie kannte aber schon einige Zeit nicht mehr hatte. Zum ersten Mal, hier in ihrem neuen zu Hause, war da dieses Gefühl. Das Gefühl nicht allein zu sein. Aber wer war der unsichtbare Gast? War es einer von den „Anderen“? Lebten sie noch? Waren Sie auf der Suche nach ihr? Waren Sie in Schwierigkeiten? Bin ich in Gefahr? Denn all mein Wissen über Dinge, die ich nicht wissen sollte...? Oder war der Zeitpunkt seiner Rache gekommen? Seiner Rache, die er ihr geschworen hatte. Habe ich etwas übersehen?  

 

Xeria fiel das Gespräch mit ihrem ärgsten Feind ein. Noch immer hatte sie nicht herausgefunden, was damals geschehen war.

„Was zum Teufel...?“, entfuhr es ihr. 

 

Die Gedanken begannen zu rotieren. Sie ging in ihr Arbeitszimmer und kramte das „Licht“ aus einer Kiste, die immer noch ungeöffnet in einer Ecke stand. Denn sobald sie diese Kiste öffnen würde, käme die Vergangenheit zurück in ihr Leben. All die Dinge, die in den letzten Jahren geschehen waren. All die Menschen, denen sie begegnete und die sie wieder verlor. Unendlich viele Notizbücher... All die Bilder aus ihren Träumen. All die Fragen, auf die sie noch immer keine Antwort wusste. Alles kommt in dem Augenblick zurück, wenn sie diese Kiste öffnen würde. 

 

Xeria wusste genau, was sie erwartete und sie wusste genau was geschehen würde. Es war ihre Bestimmung. Sie hatte keine Wahl. Alles beginnt von vorn und endet wenn sie ihre Bestimmung erfüllt hat. 

 

„Oder er mich vernichtet!“, sprach sie ergänzend, als hätte ihr jemand gerade ihre Geschichte erzählt.